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Junge Forschungsgruppe Nachhaltigkeit

„An der Schwelle zum dritten nachchristlichen Jahrtausend geht – wieder einmal – ein Gespenst um in Europa – nein, nicht nur in Europa: im gesamten globalen Dorf. Und wie es in der Natur von Gespenstern liegt, ist auch dieses schwer greifbar und lässt sich am ehesten durch die Symptome bestimmen, die es hervorruft: In der Ersten Welt greifen Ängste vor ‚Überfremdung‘, Identitätsverlust und ‚kultureller Entkernung‚ um sich, in der Zweiten und Dritten Welt sind Flucht und Heimatverlust für Millionen von Menschen bittere Realität, Burn-out und Überforderungssyndrome jeglicher Couleur mehren sich angesichts des allgegenwärtigen Informationsgewitters und der ungeheuren Beschleunigung gesellschaftlicher Fortentwicklung, ein Clash of Civilizations scheint vielen ebenso unabwendbar zu sein wie die globale Erwärmung – ‚und an den Küsten, liest man, steigt die Flut‘ (Jakob van Hoddis, Weltende). Insgesamt scheinen wir zunehmend an den Punkt zu gelangen, den Kurt Tucholsky schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts prophezeite, als er ironisch anmerkte: ‚Noch lebt das Volk von den Gütern der Alten. Langsam trägt es Sommerüberzieher, Sofas, Überzeugungen und Religionen auf – neue schafft es zur Zeit nicht an‘ (Kurt Tucholsky, Ein deutsches Volkslied).

Als Allheilmittel für all jene Malaisen hat sich in der Debatte der letzten zwei Jahrzehnte ein Begriff festgesetzt, der ebenso unscharf ist wie das Gespenst, das er zu bekämpfen sucht: Nachhaltigkeit. Aus der Forstwirtschaft stammend, bezeichnete der Begriff zunächst nicht mehr als das Prinzip, dass nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann. Die Grenzen dieses engen Verständnisses hat der Begriff der ‚Nachhaltigkeit‘ jedoch seit langem gesprengt und ist zu einem ebenso allgegenwärtigen wie unklaren Leitwert avanciert. Konzepte der Wirtschafts-, Umwelt- und sogar Gesellschaftspolitik sind kaum mehrheitsfähig, wenn man ihnen das Prädikat der ‚Nachhaltigkeit‘ nicht zumindest andichten kann, Gleiches gilt für Unternehmensstrategien, die Förderung von Forschungsvorhaben und vieles andere mehr. Diesen vielfältigen Gebrauch und bisweilen Missbrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs haben wir zum Anlass genommen, eine neue Forschungsgruppe zu gründen – die ‚Junge Forschungsgruppe Nachhaltigkeit‘. Unsere Tätigkeit zielt zunächst darauf, den unklaren Begriff der Nachhaltigkeit in der Diskussion mit Repräsentanten möglichst vieler Disziplinen mit Inhalt zu füllen. Von den so gewonnenen Erkenntnissen ausgehend wollen wir sodann die normativen Anforderungen an Nachhaltigkeit formulieren, um auf diese Weise – hoffentlich – einen Beitrag zur Bekämpfung der eingangs genannten ‚Gespenster‘ zu leisten.“

(aus der programmatischen Eröffnungsrede von Dr. Lars Berster bei der Auftaktveranstaltung der Forschungsgruppe am 10. Dezember 2015)